Folkwang

RUMMS! - Fünfmal Regie auf's Haus

Folkwang Regiestudierende präsentierten Semesterarbeiten

Fünf Studierende aus dem Studiengang Regie zeigten im Oktober ihre Arbeiten aus dem vergangenen Sommersemester. Amelie von Godin saß mit Klemmbrett und Kritikermine für euch im Publikum. Die Werkschau im Pina Bausch Theater stand unter dem Titel „RUMMS!“ und fühlte sich beinahe wie ein kleines Theaterfestival an.

RUMMS 2017 web c veronika kurnosova 4115

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Der Abend beginnt mit „Klein Eyolf“ von Henrik Ibsen, inszeniert von Remo Philipp.

Wir sehen das Bild einer scheinbar glücklichen Familie. Wie auf einem Floß im Meer, spielt das Stück auf einem Podest, ringsum nur Meer. Oder verbrannte Asche? Das Licht der Bauscheinwerfer, die vom hinteren Bühnenrand auf Szene und Publikum gerichtete sind, geben die Anmutung auf einen Tatort zu blicken. Inzwischen fast ein Markenzeichen von Remo Philipp. Mutter Rita (Klara Eham – Schauspiel) in strahlend weißem Kleid, Vater Alfred (Johannes Hoff – Schauspiel) und der gestriegelt Eyolf (Rudolf Klein – Schauspiel) zu Füßen seiner Eltern, Ukulele spielend. Der Vater, zurückgekehrt von einer längeren Reise, wird von Frau und Kind sehnlichst erwartet. Nach einer liebevollen (fast schon kitschigen) Begrüßung, verkündet Alfred seiner Frau, dass er die Arbeit an seinem Lebenswerk, einem Buch „Über die menschliche Verantwortung“ niederlegen wird, um von nun an all seine Zeit seinem körperlich eingeschränkten Sohn Eyolf widmen zu können. Rita, die von ihrem Mann nie genug Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen glaubt, wird eifersüchtig auf den eigenen Sohn.

Während das Elternpaar streitet, scheint es, als würde Sohn Eyolf unbemerkt, ungesehen, selbst in kindlicher Schuld gegenüber der egoistischen Eltern ertrinken. Fast unausweichlich: Klein Eyolf stürzt vom Podest, dem sinnbildlichem trauten Heim, in das Meer aus verbrannter Asche und kommt um. Die Eltern bleiben zurück, sind jetzt nur noch einsame Individuen eines zerbrochenen Familienbildes, vom Partner alleingelassen mit Schuld und Trauer.

Am Ende konfrontiert Remo Philipp das Publikum, trotz des Funkens an Hoffnung, den uns der Text gibt, mit dem Bild eines verlassenen, instrumentalisierten Kindes.

Nach diesem Realitätshammer wird das Publikum rausgeworfen. Umbaupause. Nach einer Zigarettenlänge geht es weiter.

 

Damira Schumacher inszeniert Hugo von Hofmannsthals „Elektra".

Drei starke Frauen, weiße bodenlange, venezianisch anmutende Kleider, die Haare geflochten (mit irgendwas muss man sich ja die Zeit im Exil vertreiben). Eingesperrt, oder zumindest steckengeblieben auf der Schwelle eines Türrahmens. Oder schauen wir symbolisch in das schon lange ausgehobene Grab der Familie?

Elektra (Jojo Rösler - Schauspiel) und Schwester Chrysothemis (Aline Bucher - Musical) sind Verstoßene am Hof der Mutter. Während Chrysothemis sich nach einem normalen Eheleben sehnt, brennt Elektra darauf den Mord ihres Vaters zu rächen. Mutter Klytämnestra (Jessica Trocha - Musical), schuld am Tod ihres Mannes, beklagt sich über Krankheit und Albträume. Ein Kampf um Macht und Status beginnt, an dem die Spielerinnen sich tapfer entlang balancieren. Alle drei Figuren haben denselben Ausgangspunkt, den Tod Agamemnons, der ihr Handeln beeinflusst und steuert. Sie sind gezwungen, sich selbst zu verleugnen und haben ihre Persönlichkeiten, ihre Menschlichkeit abgelegt. Die Vergangenheit zu verarbeiten und in der Gegenwart zu leben, scheint unmöglich. So bleibt alles auf der Schwelle.

Ich persönlich würde mir wünschen, dass die Schwelle übertreten wird und das Ganze in eine aktive Konfrontation kommt. Doch da ist das Stück schon wieder vorbei und wir werden wieder hinausgebeten. Also, kein Weiterkommen für Elektra.

Ein Mann erzählte mir einmal, was ihm nach seinem ersten Oktoberfest Besuch in Erinnerung geblieben wäre, seien die vielen alkoholisierten, weinenden, streitenden Paare.

 

Constanze Hörlin nimmt sich in ihrer Inszenierung von Ödön von Horváths Kasimir und Karoline genau diesem Phänomen an.

Das Stück, 1932 veröffentlicht und uraufgeführt, spielt auf dem Oktoberfest und wurde von der Regisseurin auf den Kern, die Paarbeziehung, reduziert. Über den Köpfen des Fußvolks zieht der Zeppelin auf dem Weg nach Oberammergau seine Kreise, ist Symbol der Sehnsucht nach einem besserem Leben und der erbarmungslosen Klassengesellschaft. Das Paar Kasimir (Max Poerting - Schauspiel) und Karoline (Massiamy Diaby - Schauspiel) mitten im Getümmel. Auf der Bühne zu sehen sind leere Biertischgarnituren und zwei Maß Bier - mehr ist das Oktoberfest im Grunde auch nicht. Er, gerade entlassen, Verlierer einer kapitalistischen Gesellschaft. Sie, die sich nach Lebensfreude und Leichtigkeit sehnt. Die beiden gehören zusammen, finden aber nicht mehr zueinander.

Äußere Umstände, Vorwürfe, zu spät geäußerte Bedürfnisse und Eifersucht machen der Beziehung zu schaffen. Ein lustvolles Spiel, detaillierte Zitate des Oktoberfests und ein stetiges Aufeinander zu und voneinander weg lassen das Publikum hoffen, und hoffen. Das Bröckeln einer Liebesbeziehung als Symbol der Einsamkeit einer Gesellschaft.

Heimweg und Herzschmerz vermischen sich in mir. Gott sei Dank gibt es in der Umbaupause Bier und Brezeln, das kann mein Münchner Herz wieder aufhellen.

Als es weiter geht, wird mir klar warum Regie-Dozent Achim Lenz zu Anfang des Abends angekündigt hat, wie unterschiedlich die Arbeiten der Studierenden sein werden.

 

Damian Popp adaptiert in seinem Folkwang Regie Debüt das Fernsehspiel „He Joe“ von Samuel Beckett und geht damit einen mutigen Schritt für die Regieabteilung.

Die Silhouette einer Figur, über sie hinweg ziehen Bilder, die sich wie platzende Synapsen anfühlen. Eindrücke, Bildzitate, Heiliges, Utopien, Distopien, Banales und Phänomenales, darüber epischen Klängen einer E-Gitarre. Zum Höhepunkt zieht das Licht auf. Stille und ein einzelner Mann in einem beinahe leeren Raum. Joe (Ansgar Sauren - Schauspiel) sitzt und blickt.

Dann, eine weiche Frauenstimme flüstert in seinem Kopf und gleichzeitig im ganzen Raum. Die Stimme befragt, tröstet, bedroht und ruft ihm schließlich wieder das Ende einer vergangenen Liebesbeziehung in Erinnerung, welche zum Selbstmord der Geliebten führt. Ein Schrein auf der Bühne, beinahe sakral, funkeln darauf Requisiten die uns etwas über diesen Joe erzählen. Ein Rettungsring? Ein Leitfaden? Subtilstes Spiel, pure, reine Anwesenheit, der Körper der Figur, welcher der Stimme genauso ausgesetzt ist wie das Publikum.

Regie und Konzept konfrontiert und fordert das Publikum erbarmungslos. Unaufhaltsam zieht einen die eigene Fantasie weiter hinein in die Geschichte.

Das Stück wird wild angegangen. „Wie kann eine Regie es nur wagen, einen Schauspieler nichts machen zu lassen?“ heißt es von manchen. Ich bin erleichtert, dass eine Inszenierung das Publikum so in Aufregung versetzen kann. In wilden Diskussionen vergeht die Umbaupause wie im Flug - und jetzt heißt es Endspurt.

Die Zuschauer und ich, nach 4 Stunden gemeinsam im Theater ist man schon richtig verbündet, laufen ein letztes Mal hinein ins Pina Bausch. Dort erwarten uns ein Flügel und ein eingestaubtes Ensemble.

 

Selina Girschweiler zaubert in Gespenstersonate 2.0 mit ihrem interdisziplinären Ensemble eine freie Interpretation der Gespenstersonate von August Strindberg.

Ein wunderbar groteskes Szenario auf der Bühne (Anastasija Delidova - Bühne, Kostüm, Projektion), fast wie ein Suchbild, lädt dazu ein jede Figur und die Geschichte zu erkunden.

„Wenn ein Haus alt wird, verkommt es, und wenn Menschen lange zusammen sind und einander quälen, werden sie verrückt…“

Die skurrilen Geisterwesen auf der Bühne sind schon lange verrückt geworden. Im Zentrum des Geschehens: Benedikt ter Braak am Flügel. Er hat die Macht über den Takt. Der adlige Oberst (Florian Sigmund - Musical), Hausherr, gebunden an einen Kleiderstände mit sieben Anzügen, seine Etikette eben, und seine Gattin (Vera Schmidtke - Schauspiel) die an eine Mumie in einem Kokon erinnert, laden immer zur gleichen Abendgesellschaft. Gast ist Direktor Hummel (Philipp Steinheuser - Schauspiel). Die Gesprächsthemen: „Wussten Sie, dass Pinguine ihren Liebsten Steine schenken?“

Im Hintergrund erhöht, in leuchtend roter, jugendlicher Frische aber dem Publikum abgewandt, steht die Tochter des Oberst, die aber doch in Wahrheit die Tochter des Direktors (Laura Zeiger) ist. Ins Rollen kommt Alles, als sich die Figuren, eingeladen von einem zum Leben erwachten Öl-Portrait, der Lust hingeben. Und einer nach dem anderen den Löffel abgeben.

 

Tosender Applaus für alle SpielerInnen und natürlich auch für die fünf RegisseurInnen.
Nach einem langen, lustvollem Theatererlebnis lässt sich zusammenfassen, dass der
Abend getragen wurde von der enormen Unterschiedlichkeit der Stücke und einer starken,
interdisziplinären Besetzung. Man geht also nach Hause (oder in die Arche) mit einer Vielzahl an neuen Figuren, Themen und Geschichten im Kopf.

 

Folkwang ist

#unterschiedlichundmutig

#tonangebend

#vielschichtig

#vollmeta

 

 

 

Fotos: Veronika Kurnosova

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

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Amelie von Godin / 16. November 2017